Der "Schattenmann" von Kobayashi

Evangelischer Pfarrer Markus Neitzel übersetzt für die japanischen Skispringer
Neben den japanischen Skispringern ist ein Deutscher unerwartet häufig in den TV-Übertragungen zu sehen, der nicht zur Weltelite der Wintersportler gehört. Wenn Ryoyo Kobayashi nach einem Sieg den Medienvertretern Rede und Antwort steht, ist Markus Neitzel stets sein Schattenmann. Der 63-Jährige aus Schopfheim im Schwarzwald ist einer der wenigen freiwilligen Helfer, der perfekt japanisch kann und deshalb begehrter Dolmetscher ist.
Von 1987 bis 2000 war der evangelischer Pfarrer mit seiner Frau Conny auf Einladung der Kirche in verschiedenen Städten Japans, um dort neue Gemeinden aufzubauen. Vor der eigentlichen Missionsarbeit musste er ein zweijähriges Vollzeitstudium absolvieren, sich durch über 2000 chinesische und zusätzliche japanische Schriftzeichen quälen. In Städten wie Sapporo und Eniwa baute er die Gemeindearbeit auf, versetzte sich tief in die fernöstliche Kultur, wobei ihm die sensible Aufgabe als Seelsorger sehr half.
Vor 22 Jahren kehrte Markus Neitzel mit seiner Familie, die um drei Kinder gewachsen war, nach Deutschland zurück. Hessen wurde zur neuen Heimat, wo Neitzel zehn Jahre lang fünf deutsche und zwei japanische Kirchengemeinden in Frankfurt/Main und Mannheim betreute.
Seinen ersten Kontakt zu den japanischen Skispringern knüpfte er 2001, als er am Frankfurter Flughafen im Nebenjob im Check-in arbeitete. Dort traf er Noriaki Kasai, Masahiko Harada und Nationaltrainer Hideharu Miyahira, der damals selbst noch aktiver Skispringer war und half ihnen damals schon weiter. Zum Job als Dolmetscher verhalf dem Pfarrer ein Zufall. 2013 war er als Zuschauer beim Sommer-Grand-Prix in Hinterzarten. Damals wollten die Medienvertreter allesamt Interviews von Kasai und Takanashi, die den Teamwettbewerb gewonnen hatten. Da meldete sich Markus Neitzel und half bei Siegerehrung sowie Pressekonferenz mit seinen Übersetzungen.
Und hatte fortan einen neuen Job. 2017 in Lahti und 2019 in Seefeld begleitete er die Japaner bei den Weltmeisterschaften und ist seither der Mann an Kobayashi Seite. Der derzeitige Weltcup-Führende hat Vertrauen gefasst zu seinem deutschen Übersetzer. Neitzel widerspricht übrigens Vermutungen, dass die Japaner sich gern auf mangelnden Englischkenntnissen ausruhen, um dem Interviewrummel aus dem Weg zu gehen. „Es ist kulturell bedingt, dass die Japaner alles perfekt erledigen wollen. Das bedeutet dann lieber gar nicht reden, als Fehler zu machen“.